Lieber Faust,

 

wir haben uns noch nicht persönlich kennengelernt und so möchte ich mich zunächst kurz vorstellen: Ich heiße Katharina, bin 18 Jahre alt und besuche zurzeit die Kollegstufe des Gymnasium Wertingen. Vielleicht fragst du dich jetzt, warum gerade ich dir schreibe. Weißt du, ich habe viel von dir gehört und gelesen und hatte das Gefühl, dass du Hilfe benötigst. Nun kann es natürlich sein, dass mein Brief nicht die richtige Art von Hilfe ist, aber ich möchte es dennoch versucht haben.

Lieber Faust, du scheinst am Rande der Verzweiflung zu sein. Die Tatsache, dass du eventuell nie die komplette Schöpfung und den Plan, der dahinter steckt verstehen wirst, lässt dich nicht zur Ruhe kommen. Ich finde zum Beispiel, dass gerade dieses Unerforschte und Unverstandene jedes Leben lebenswert macht. Nach was sollten wir Menschen streben, wenn irgendwann alles einleuchtend ist? Was ist ein Leben ohne Fantasie und Zufall noch wert?

Ich glaube, dass du zuviel nachdenkst. Die Welt ist so wie sie ist und es ist gut und vielleicht sogar geplant, dass keiner den Zweck dahinter verstehen wird.

Bist du schon jemals ganz früh aufgestanden, um den Sonnenaufgang mitzuerleben? In dem Moment, in dem ich das erste Stückchen Rot erblicke, bin ich sehr glücklich, denn ich weiß, dass ein neuer Tag begonnen hat und es macht mir überhaupt nichts aus, dass ich nicht verstehe, welche Kräfte die Sonne täglich auf- und untergehen lassen, warum die Erde sich dreht oder warum es mich gibt. Ich freue mich nur, dass ich ein Teil des Ganzen sein darf.

Quäle dich doch nicht immer mit Fragen, deren Antworten so schwer zu geben sind. Versuche dich frei zu machen von dem Bedürfnis zu erfahren, was das Leben wirklich ist. Freue dich an den schönen Dingen, die es mit sich bringt und ärgere dich über die schlechten, aber verzweifle nicht an ihnen. Suche keinen Ausweg aus einem Labyrinth, welches nicht existiert, sondern sich nur in deinem Kopf aufgebaut hat. 

Ach Faust, du bist sehr intelligent und ich hoffe, dass dir klar geworden ist, warum ich mir Sorgen um dich mache. Denke bitte über meine Worte nach und hole das mit dem Sonnenaufgang nach, falls du es noch nie erlebt haben solltest. Ich drücke dir die Daumen, dass du irgendwann zur Ruhe kommen mögest. 

Alles Gute für die Zukunft.

deine Katharina