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Brief des Johannes Trithemius an Johann Virdung (1507). Kopie des Originals, Rom, Vatikanische Bibliothek (Pal. Lat. 730, 174r-175r).

"Jener Mensch, über welchen du mir schreibst, Georg Sabellicus, welcher sich den Fürsten der Nekromanten zu nennen wagte, ist ein Landstreicher, leerer Schwätzer und betrügerischer Strolch, würdig ausgepeitscht zu werden, damit er nicht ferner mehr öffentlich verabscheuungswürdige und der heiligen Kirche feindliche Dinge zu lehren wage. Denn was sind die Titel, welche er sich anmaßt, anders als Anzeichen des dümmsten und unsinnigsten Geistes, welcher zeigt, daß er ein Narr und kein Philosoph ist! So machte er sich folgenden ihm konvenierenden Titel zurecht: Magister Georg Sabellicus Faust der Jüngere, Quellbrunn der Nekromanten, Astrolog, Zweiter der Magier, Chiromant, Aeromant, Pyromant, Zweiter in der Hydromantie. - Siehe die törichte Verwegenheit des Menschen; welcher Wahnsinn gehört dazu, sich die Quelle der Nekromantic zu nennen! Wer in Wahrheit in allen guten Wissenschaften unwissend ist, hätte sich lieber einen Narren denn einen Magister nennen sollen. Aber mir ist seine Nichtswürdigkeit nicht unbekannt. Als ich im vorigen Jahre aus der Mark Brandenburg zurückkehrte, traf ich diesen Menschen in der Nähe der Stadt Gelnhausen an, woselbst man mir in der Herberge viele von ihm mit großer Frechheit ausgeführte Nichtsnutzigkeiten erzählte. Als er von meiner Anwesenheit hörte, floh er alsbald aus der Herberge und konnte von niemandem überredet werden, sich mir vorzustellen. Wir erinnern uns auch, daß er uns durch einen Bürger die schriftliche Aufzeichnung seiner Torheit, welche er dir gab, überschickte. In jener Stadt erzählten mir Geistliche, er habe in Gegenwart vieler gesagt, daß er ein so großes Wissen und Gedächtnis aller Weisheit erreicht habe, daß, wenn alle Werke von Plato und Aristoteles samt all ihrer Philosophie durchaus aus der Menschen Gedächtnis verloren gegangen wären, er sie wie ein zweiter Hebräer Esra durch sein Genie sämtlich und noch treffender wiederherstellen wolle. Als ich mich später in Speyer befand, kam er nach Würzburg und soll sich in Gegenwart vieler Leute mit gleicher Eitelkeit gerühmt haben, daß die Wunder unseres Erlösers Christi nicht anstaunenswert seien; er könne alles tun, was Christus getan habe, so oft und wann er wolle. In den Fasten dieses Jahres kam er nach Kreuznach, wo er sich in gleicher großsprecherischer Weise ganz gewaltiger Dinge rühmte und sagte, daß er in der Alchemie von allen, die je gewesen, der Vollkommenste sei und wisse und könne, was nur die Leute wünschten. Während dieser Zeit war die Schulmeisterstelle in gedachter Stadt unbesetzt, welche ihm auf Verwendung von Franz von Sickingen, dem Amtmann deines Fürsten, einem nach mystischen Dingen überaus begierigen Manne, übertragen wurde. Aber bald darauf begann er mit Knaben die schändlichste Unzucht zu treiben und entfloh, als die Sache ans Licht kam, der ihm drohenden Strafe. Das ist es, was mir nach dem sichersten Zeugnis von jenem Menschen feststeht, dessen Ankunft du mit so großem Verlangen erwartest."

Text im Original lateinisch. Erster Druck in: Joannes Trithemius, Epistolae familiares. Haganoae 1536, S. 312-314.

Texterklärungen

Nekromant: Schwarzkünstler. In der strengen Wortbedeutung jedoch "Totenbeschwörer", "Totenbefrager" (von griech. nekrós = der Tote). Später wurde der Begriff gleichgesetzt mit "Nigromant" (von lat. niger = schwarz).

 

Sabellicus: dieser von mehreren Zeitgenossen Fausts gleichfalls angenommene Kunstname soll mit größter Wahrscheinlichkeit nicht auf eine bestimmte Person damaliger oder früherer Zeit anspielen, sondern auf die als Zaubervolk berühmten und berüchtigten Sabiner oder Sabeller verweisen, die in den Sabinerbergen nordöstlich von Rom lebten. Vgl. auch Goethes "Faust", V. 10439: "Der Nekromant von Norcia, der Sabiner".

 

Faust der Jüngere: vermutlich spielt Faust mit diesem in der einschlägigen Forschung höchst kontrovers diskutierten Titel auf Simon Magus an, den "ersten", den "älteren", den Erz-Magier. Dieser legte sich, dem spätantiken und um 1500 weitverbreiteten Abenteuerroman der "Recognitiones" zufolge, gelegentlich den Beinamen "Faustus" zu; er zog mit einer Frau namens Helena umher, die er aus einem Bordell geholt hatte. Den Tod fand er bei einem mit teuflischer Hilfe vollführten Flugversuch vor Kaiser Nero in Rom: der Apostel Petrus brach durch seine Gebete die Macht der Dämonen. - Die Nachrichten über Simon Magus sind allerdings durch die Optik der Amtskirche sehr parteiisch gefärbt.

 

Zweiter der Magier: auch dieser Hinweis zielt wohl auf Simon Magus, der in der Apostelgeschichte als "der" Magier auftaucht, ebenso in der während des Mittelalters berühmtesten Legendensammlung, der "Legenda Aurea" des Jakobus de Voragine.

Chiromant: Weissager aus den Linien und Bergen der Hand.

 

Aeromant: Weissager aus der Luft, aus Wolken, Nebel, Vogelzug usw.

 

Pyromant: Weissager aus dem Feuer, aus Flammen- und Rauchbildung.

 

Zweiter der Hydromantie: Hydromantie ist die Kunst der Weissagung aus dem Wasser, aus Quellen oder künstlich (etwa durch Steine oder Obstkerne) bewegten Wasserflächen. Der "Erste", auf den sich Faust bezieht, ist wohl der bei Augustinus als Hydromant bezeichnete Pythagoras.

 

Plato und Aristoteles: die beiden bedeutendsten Philosophen der griechischen Antike, deren Werke um 1500 nach und nach ediert und gleichsam als heilige Bücher klassischer Humanität verehrt wurden.

 

Hebräer Esra: Prophet des Alten Testaments, der nach apokrypher Überlieferung in einer Offenbarung die jüdische Geheimlehre der Kabbala empfing und aus dem Gedächtnis niederschrieb.

 

Alchemie: ursprünglich, bei den "wahren Alchemisten", nicht allein der Versuch der Metall-Umwandlung und der laboratorischen Herstellung von künstlichem Gold, sondern gleichzeitig und sogar vorrangig der oratorisch-meditative Versuch eigener geistiger Vervollkommnung, sozusagen der Herstellung von "innerem Gold".

 

mit Knaben: dieser Vorwurf homosexueller Perversion muß keineswegs wörtlich genommen werden: in der grobianischen Epoche Luthers "schoß" man oft bewußt "unter die Gürtellinie", um einen Gegner zu diffamieren. In der lokalen Überlieferung Kreuznachs ist über Fausts Lehrertätigkeit ebensowenig bekannt wie über den Päderastie-Vorwurf.