Clemens Brentano (1778-1842): Der Philister vor, in und nach der Geschichte [Auszug]Die Aufklärung, die zum Teil ihre. ursprünglichen freiheitlichen Ideale selbst verriet und zu reinem Nützlichkeitsdenken verkam, wurde für die Romantiker zum Synonym für bornierte Geisteshaltung; ihre Verkörperung ist der Philister. "Philister" war ursprünglich ein studentischer Ausdruck für den Nichtstudenten; hier bezeichnet das Wort einen nüchternen, pedantischen, beschränkten Menschen, den man heute als Spießer bezeichnen würde. [...] Wenn der Philister morgens aus seinem traumlosen Schlafe, wie
ein ertrunkener Leichnam, aus dem Wasser herauftaucht, so probiert
er sachte mit seinen Gliedmaßen herum, ob sie auch noch alle
zugegen, hierauf bleibt er ruhig liegen, und dem anpochenden Bringer
des Wochenblatts ruft er zu, er solle es in der Küche abgeben,
denn er liege jetzt im ersten Schweiß und könne, ohne ein
Wagehals zu sein, nicht aufstehn; sodann denkt er daran, der Welt
nützlich zu sein, und weil er fest überzeugt ist, daß
der nüchterne Speichel etwas sehr Heilkräftiges sei, so
bestreicht er sich die Augen damit, oder der Frau Philisterin, oder
seinen kleinen Philistern, oder seinem wachsamen Hund, oder niemand.
Seine weiße baumwollne Schlafmütze, zu welchen diese Ungeheuer
große Liebe tragen, sitzt unverrückt, denn ein Philister
rührt sich nicht im Schlaf. Wenn er aufgestanden, so wechselt
er das Hemd, wenn er es tut, so, daß er das erste ganz auszieht,
ehe er das andere anzieht, und ist imstand, seine Flanelljacke gelinde
mit seinem linken wollnen Strumpfe zu reiben, damit sie keinen Rheumatismus
bekomme, auf die Haut selbst kommt er sich nie; sodann geht es an
ein gewaltiges Zungenschaben und Ohrenbohren, an ein Räuspern
und Spucken, entsetzliches Gurgeln und irgendeine absonderliche Art,
sich zu waschen, nach einer fixen Idee, kalt oder warm sei gesund;
sodann kaut er einige Wacholderbeeren, während er an das gelbe
Fieber denkt; oder er hält seinen Kindern eine Abhandlung vom
Gebet und sagt, wenn er sie zur Schule geschickt, zu seiner Frau:
Man muß den äußern Schein beobachten, das erhält
einem den Kredit, sie werden früh genug den Aberglauben einsehen.
Sodann raucht er Tabak, wozu er die höchste Leidenschaft hat,
oder welches er übertrieben affektiert haßt; im ganzen
ist der Rauchtabak den Philistern unendlich lieb, sie sagen sehr gern,
er halte ihnen den Leib gelinde offen, und sie könnten bei dem
Zug der Rauchwolken Betrachtungen über die Vergänglichkeit
anstellen, so hängt die Pfeife eng mit ihrer Philosophie zusammen;
auch besitzt er gewiß irgendein Tabaksgedicht oder hat selbst
eins gemacht. Übrigens wenngleich mancher Tabak raucht, ohne
darum ein Philister zu sein, so kann man es doch nur in einer Zeit
gelernt haben, in der man ideenlos, verkehrt und ein Philister gewesen,
und die lebendigsten, tüchtigsten, reinsten und seelenvollsten
Menschen, die ich gekannt, waren nie auf den Tabak gekommen. Zweifelsohne
zieht der Philister nun auch alle Uhren des Hauses auf und schreibt
den Datum mit Kreide über die Türe; trinkt er Kaffee, so
spricht er von den Engländern, nennt den Kaffee auch wohl die
schwarze afrikanische Brühe; sehr kränkend würde es
ihm sein, wenn die Frau ihm nicht ein halbdutzendmal sagte: Trinke
doch, er ist so schöne warm, trinke doch, eh er kalt wird; wenn
er ihm aber nicht warm gebracht wurde, wehe dann der armen Frau! Seine
Kaffeekanne ist von Bunzlauer Steingut, und ist er ein langsamer Trinker,
so hat sie ein ordentliches Kaffeemäntelchen um, wie ein andrer
Philister auch, denen diese braunen Kannen überhaupt sehr ähnlich
sehen. [...] |