Dieses Stück ist ein Fragment. Es gibt keine
richtige Reihenfolge der einzelnen Szenen, denn sie sind weder nummeriert
noch in Akte aufgeteilt.
Die hier vorliegende Reihenfolge stimmt, vom
Ende abgesehen, mit
der Verfilmung mit Klaus Kinski in der Hauptrolle überein.
Das Stück
spielt in Darmstadt, die Figuren sprechen größtenteils in dortigem
Dialekt.
Freies Feld, die Stadt in der Ferne
Woyzeck und Andres schneiden Stecken im
Gebüsch. Andres pfeift.
WOYZECK: Ja, Andres, der Platz ist verflucht. Siehst Du den
lichten Streif da über das Gras hin, wo die Schwämme so nachwachsen? Da
rollt abends der Kopf. Es hob ihn einmal einer auf, er meint’, es wär ein
Igel: drei Tag und drei Nächt, er lag auf den Hobelspänen. -
Leise: Andres, das waren die Freimaurer! Ich hab’s, die
Freimaurer!
ANDRES singt:
Saßen dort zwei
Hasen,
fraßen ab das grüne, grüne Gras...
WOYZECK: Still:
Hörst du’s, Andres? Hörst du’s? Es geht was!
ANDRES:
Fraßen
ab das grüne, grüne Gras...
bis auf den grünen
Rasen.
WOYZECK: Es geht hinter mir, unter mir. - Stampft auf
den Boden: Hohl, hörst Du? Alles hohl da unten! Die
Freimaurer!
ANDRES: Ich fürcht’ mich.
WOYZECK: ’s ist
so kurios still. Man möcht’ den Atem halten. - Andres!
ANDRES:
Was?
WOYZECK: Red was! - Starrt in die Gegend. - Andres,
wie hell! Über der Stadt is alles Glut! Ein Feuer fährt um den Himmel und
ein Getös herunter wie Posaunen. Wie’s heraufzieht! - Fort! Sieh nicht
hinter dich! - Reißt ihn ins Gebüsch.
ANDRES nach
einer Pause: Woyzeck, hörst du’s noch?
WOYZECK: Still,
alles still, als wär’ die Welt tot.
ANDRES: Hörst du? Sie
trommeln drin. Wir müssen fort!
Die Stadt
Marie mit ihrem Kind am Fenster. Margret. Der Zapfenstreich geht
vorbei, der Tambourmajor voran.
MARIE das Kind wippend auf dem
Arm: He, Bub! Sa ra ra ra! Hörst? Da kommen Sie!
MARGRET: Was
ein Mann, wie ein Baum!
MARIE: Er steht auf seinen Füßen wie
ein Löw.
Tambourmajor grüßt.
MARGRET: Ei, was freundliche
Auge, Frau Nachbarin! So was is man an ihr nit gewöhnt.
MARIE
singt: Soldaten, das sind schöne Bursch ...
MARGRET: Ihre Auge
glänze ja noch -
MARIE: Und wenn! Trag Sie Ihr Aug zum Jud, und
lass Sie sie putze; vielleicht glänze sie noch, dass man sie für zwei Knöpfe
verkaufen könnt.
MARGRET: Was, Sie? Sie? Frau Jungfer! Ich bin
eine honette Person, aber Sie, es weiß jeder, Sie guckt sieben Paar
lederne Hose durch!
MARIE: Luder! - Schlägt das Fenster durch.
- Komm, mei Bub! Was die Leute wolle. Bist doch nur ein arm Hurenkind und
machst deiner Mutter Freud mit deim unehrlichen Gesicht! Sa! sa! -
Singt
Mädel, was fangst Du jetzt an?
Hast ein klein Kind und kein’
Mann!
Ei, was frag’ ich danach?
Sing’ ich die ganze Nacht
heio,
popeio, mei Bu, juchhe!
Gibt mir kein Mensch nix dazu.
Es klopft am Fenster.
MARIE: Wer da? Bist du’s, Franz? Komm herein!
WOYZECK: Kann nit. muss zum Verles’.
MARIE: Hast du
Stecken geschnitten für den Hauptmann?
WOYZECK: Ja, Marie.
MARIE: Was hast du, Franz? Du siehst so verstört.
WOYZECK geheimnisvoll: Marie, es war wieder was, viel -
steht nicht geschrieben: Und sie, da ging ein Rauch vom Land, wie der
Rauch vom Ofen?
MARIE: Mann!
WOYZECK: Es ist hinter
mir hergangen bis vor die Stadt. Etwas, was wir nicht fassen, begreifen,
was uns von Sinnen bringt. Was soll das werden?
MARIE: Franz!
WOYZECK: Ich muss fort. - Heut abend auf die Meß! Ich hab wieder
gespart. - Er geht.
MARIE: Der Mann! So vergeistert. Er
hat sein Kind nicht angesehn! Er schnappt noch über mit den Gedanken! -
Was bist so still, Bub? Furchtest dich? Es wird so dunkel; man meint, man
wär’ blind. Sonst scheint als die Latern herein. Ich halt’s nit aus; es
schauert mich! - Geht ab.
Buden. Lichter. Volk
ALTER MANN singt und Kind tanzt zum Leierkasten:
Auf
der Welt ist kein Bestand,
Wir müssen alle sterben,
das ist uns
wohlbekannt.
WOYZECK: Hei, Hopsa’s! - Armer Mann, alter Mann!
Armes Kind, junges Kind! Sorgen und Feste!
MARIE: Mensch, sind
noch die Narrn von Verstande, dann ist man selbst ein Narr. - Komische
Welt! Schöne Welt!
Beide gehn weiter zum Marktschreier.
MARKTSCHREIER vor seiner Bude mit seiner Frau in Hosen und
einem kostümierten Affen: Meine Herren, meine Herren! Sehn Sie die
Kreatur, wie sie Gott gemacht: nix, gar nix. Sehn Sie jetzt die Kunst:
geht aufrecht, hat Rock und Hosen, hat ein’ Säbel! Der Aff ist Soldat; s’
ist noch nicht viel, unterste Stuf von menschliche Geschlecht. Ho! Mach
Kompliment! So - bist Baron. Gib Kuß! - Er trompetet: Wicht ist
musikalisch. - Meine Herren, hier ist zu sehen das astronomische Pferd und
die kleine Kanaillevögele. Sind Favorit von alle gekrönte Häupter Europas,
verkündigen den Leuten alles: wie alt, wieviel Kinder, was für Krankheit.
Die Repräsentationen anfangen! Es wird sogleich sein Commencement von
Commencement.
WOYZECK: Willst Du?
MARIE: Meinetwegen.
Das muss schön Ding sein. Was der Mensch Quasten hat! Und die Frau
Hosen!
Beide gehn in die Bude.
TAMBOURMAJOR: Halt, jetzt! Siehst du sie! Was ein
Weibsbild!
UNTEROFFIZIER: Teufel! Zum Fortpflanzen von
Kürassierregimentern!
TAMBOURMAJOR: Und zur Zucht von
Tambourmajors!
UNTEROFFIZIER: Wie sie den Kopf trägt! Man meint,
das schwarze Haar müßt’ sie abwärts ziehn wie ein Gewicht. Und Augen
-
TAMBOURMAJOR: Als ob man in ein’ Ziehbrunnen oder zu einem
Schornstein hinunter guckt. Fort, hintendrein! -
Das Innere der hellerleuchteten Bude
MARIE: Was Licht!
WOYZECK: Ja, Marie, schwarze Katzen
mit feurigen Augen. Hei, was ein Abend!
DER BUDENBESITZER ein
Pferd vorführend: Zeig dein Talent! Zeig deine viehische
Vernünftigkeit! Beschäme die menschliche Sozietät! Meine Herren, dies
Tier, was Sie da sehn, Schwanz am Leib, auf seine vier Hufe, ist Mitglied
von alle gelehrt Sozietät, ist Professor an unsre Universität, wo die
Studente bei ihm reiten und schlagen lernen. - Das war einfacher Verstand.
Denk jetzt mit der doppelten Raison! Was machst du, wann du mit der
doppelten Raison denkst? Ist unter der gelehrten Société da ein Esel? -
Der Gaul schüttelt den Kopf. - Sehn Sie jetzt die doppelte Raison?
Das ist Viehsionomik. Ja, das ist kein viehdummes Individuum, das ist ein
Person, ein Mensch, ein tierischer Mensch - und doch ein Vieh, ein Bête. -
Das Pferd führt sich ungebührlich auf. - So, beschäme die Société.
Sehn Sie, das Vieh ist noch Natur, unideale Natur! Lernen Sie bei ihm!
Fragen Sie den Arzt, es ist sonst höchst schädlich! Das hat geheißen:
Mensch, sei natürlich! Du bist geschaffen aus Staub, Sand, Dreck. Willst
du mehr sein als Staub, Sand, Dreck? - Sehn Sie, was Vernunft: es kann
rechnen und kann doch nit an den Fingern herzählen. Warum? Kann sich nur
nit ausdrücken, nur nit explizieren, ist ein verwandelter Mensch. Sag den
Herren, wieviel Uhr ist es! Wer von den Herren und Damen hat ein Uhr? ein
Uhr?
UNTEROFFIZIER: Eine Uhr? - Zieht großartig und gemessen
eine Uhr aus der Tasche: Da, mein Herr!
MARIE: Das muss ich
sehn. - Sie klettert auf den ersten Platz; Unteroffizier hilft ihr.
TAMBOURMAJOR: Das ist ein Weibsbild.
Mariens Kammer
MARIE sitzt, ihr Kind auf dem Schoß, ein Stückchen Spiegel in
der Hand: Der andre hat ihm befohlen, und er hat gehen müssen! -
Bespiegelt sich: Was die Steine glänzen! Was sind’s für? Was hat er
gesagt? - - Schlaf, Bub! Drück die Augen zu, fest! - Das Kind versteckt
die Augen hinter den Händen. - Noch fester! Bleib so - still, oder er
holt dich! - Singt:
Mädel, mach’s Ladel zu
’s kommt e
Zigeunerbu,
führt dich an deiner Hand
fort ins
Zigeunerland.
Spiegelt sich wieder. - ’s ist gewiss Gold! Wie
wird mir’s beim Tanzen stehen? Unsereins hat nur ein Eckchen in der Welt
und ein Stück Spiegel, und doch hab ich ein’ so roten Mund als die großen
Madamen mit ihrem Spiegeln von oben bis unten und ihren schönen Herrn, die
ihnen die Händ küssen. Ich bin nur ein arm Weibsbild! - Das Kind
richtet sich auf. - Still, Bub, die Augen zu! Das Schlafengelchen!
Wie’s an der Wand läuft. - Sie blinkt ihm mit dem Glas: Die Auge
zu, oder es sieht dir hinein, dass du blind wirst!
Woyzeck tritt herein, hinter sie. Sie fährt auf, mit den
Händen nach den Ohren.
WOYZECK: Was hast du?
MARIE: Nix.
WOYZECK:
Unter deinen Fingern glänzt’s ja.
MARIE: Ein Ohrringlein; hab’s
gefunden.
WOYZECK: Ich hab’ so noch nix gefunden, zwei auf
einmal!
MARIE: Bin ich ein Mensch?
WOYZECK: ’s ist
gut, Marie. - Was der Bub schläft! Greif ihm unters Ärmchen, der Stuhl
drückt ihn. Die hellen Tropfen stehn ihm auf der Stirn; alles Arbeit unter
der Sonn, sogar Schweiß im Schlaf. Wir arme Leut! - Da ist wieder Geld,
Marie; die Löhnung und was von meim Hauptmann.
MARIE: Gott
vergelt’s, Franz.
WOYZECK: Ich muss fort. Heut abend, Marie!
Adies!
MARIE allein, nach einer Pause: Ich bin doch ein
schlechter Mensch! Ich könnt’ mich erstechen. - Ach, was Welt! Geht doch
alle zum Teufel, Mann und Weib!
Beim Doktor
Woyzeck. Der Doktor.
DOKTOR: Was erleb’ ich, Woyzeck? Ein Mann von
Wort!
WOYZECK: Was denn, Herr Doktor?
DOKTOR: Ich
hab’s gesehn, Woyzeck; er hat auf die Straß gepisst, an die Wand gepisst,
wie ein Hund. - Und doch drei Groschen täglich und die Kost! Woyzeck, das
ist schlecht; die Welt wird schlecht, sehr schlecht!
WOYZECK:
Aber, Herr Doktor, wenn einem die Natur kommt.
DOKTOR: Die Natur
kommt, die Natur kommt! Die Natur! Hab’ ich nicht nachgewiesen, dass der
Musculus constrictor vesicae dem Willen unterworfen ist? Die Natur!
Woyzeck, der Mensch ist frei, in dem Menschen verklärt sich die
Individualität zur Freiheit. - Den Harn nicht halten können! -
Schüttelt den Kopf, legt die Hände auf den Rücken und geht auf und
ab. - Hat Er schon seine Erbsen gegessen, Woyzeck? Nichts als Erbsen,
cruciferae, merk Er sich’s! Es gibt eine Revolution in der Wissenschaft,
ich sprenge sie in die Luft. Harnstoff 0,10, salzsaures Ammonium,
Hyperoxydul - Woyzeck, muss Er nicht wieder pissen? Geh Er einmal hinein
und probier Er’s!
WOYZECK: Ich kann nit, Herr
Doktor.
DOKTOR mit Affekt: Aber an die Wand pissen! Ich
hab’s schriftlich, den Akkord in der Hand! - Ich hab’s gesehen, mit diesen
Augen gesehen; ich steckt’ grade die Nase zum Fenster hinaus und ließ die
Sonnenstrahlen hineinfallen, um das Niesen zu beobachten. - Tritt auf
ihn los: Nein, Woyzeck, ich ärgre mich nicht; Ärger ist ungesund, ist
unwissenschaftlich. Ich bin ruhig, ganz ruhig; mein Puls hat seine
gewöhnlichen sechzig, und ich sag’s Ihm mit der größten Kaltblütigkeit.
Behüte, wer wird sich über einen Menschen ärgern, ein’ Mensch! Wenn es
noch ein Proteus wäre, der einem krepiert! Aber, Woyzeck, Er hätte nicht
an die Wand pissen sollen -
WOYZECK: Sehn Sie, Herr Doktor,
manchmal hat einer so ’en Charakter, so ’ne Struktur. - Aber mit der Natur
ist’s was anders, sehn Sie; mit der Natur - er kracht mit den
Fingern -, das is so was, wie soll ich sagen, zum Beispiel
...
DOKTOR: Woyzeck, Er philosophiert wieder.
WOYZECK
vertraulich: Herr Doktor, haben Sie schon was von der doppelten
Natur gesehn? Wenn die Sonn in Mittag steht und es ist, als ging’ die Welt
in Feuer auf, hat schon eine fürchterliche Stimme zu mir
geredt!
DOKTOR: Woyzeck, Er hat eine
Aberratio.
WOYZECK legt den Finger auf die Nase: Die
Schwämme, Herr Doktor, da, da steckt’s. Haben Sie schon gesehn, in was für
Figuren die Schwämme auf dem Boden wachsen? Wer das lesen
könnt!
DOKTOR: Woyzeck, Er hat die schönste Aberratio mentalis
partialis, die zweite Spezies, sehr schön ausgeprägt. Woyzeck, Er kriegt
Zulage! Zweite Spezies: fixe Idee mit allgemein vernünftigem Zustand. - Er
tut noch alles wie sonst? Rasiert seinen Hauptmann?
WOYZECK:
Jawohl.
DOKTOR: Isst seine Erbsen?
WOYZECK: Immer
ordentlich, Herr Doktor. Das Geld für die Menage kriegt meine
Frau.
DOKTOR: Tut seinen Dienst?
WOYZECK:
Jawohl.
DOKTOR: Er ist ein interessanter Kasus. Subjekt Woyzeck,
Er kriegt Zulage, halt Er sich brav. Zeig Er seinen Puls. Ja.
Mariens Kammer
Marie. Tambourmajor.
TAMBOURMAJOR: Marie!
MARIE ihn ansehend, mit
Ausdruck: Geh einmal vor dich hin! Über die Brust wie ein Rind und ein
Bart wie ein Löw. So ist keiner! - Ich bin stolz vor allen
Weibern!
TAMBOURMAJOR: Wenn ich am Sonntag erst den großen
Federbusch hab’ und die weiße Handschuh, Donnerwetter! Der Prinz sagt
immer: Mensch, Er ist ein Kerl.
MARIE spöttisch: Ach was!
- Tritt vor ihn hin: Mann!
TAMBOURMAJOR: Und du bist auch
ein Weibsbild! Sapperment, wir wollen eine Zucht Tambourmajors anlegen.
He? - Er umfaßt sie.
MARIE verstimmt: Laß
mich!
TAMBOURMAJOR: Wild Tier!
MARIE heftig:
Rühr mich an!
TAMBOURMAJOR: Sieht dir der Teufel aus den
Augen?
MARIE: Meinetwegen! Es ist alles eins!
Straße
Hauptmann. Doktor. Hauptmann keucht die Straße herunter,
hält an; keucht, sieht sich um.
HAUPTMANN: Herr Doktor, rennen Sie nicht so! Rudern Sie mir
Ihrem Stock nicht so in der Luft! Sie hetzen sich ja hinter dem Tod drein.
Ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat, geht nicht so schnell. Ein
guter Mensch - Er erwischt den Doktor am Rock: Herr Doktor,
erlauben Sie, dass ich ein Menschenleben rette!
DOKTOR:
Pressiert, hh, pressiert!
HAUPTMANN: Herr Doktor, ich bin so
schwermütig, ich habe so was Schwärmerisches; ich muss immer weinen, wenn
ich meinen Rock an der Wand hängen sehen -.
DOKTOR: Hm!
Aufgedunsen, fett, dicker Hals: apoplektische Konstitution. Ja, Herr
Hauptmann, Sie können eine Apoplexia cerebri kriegen; Sie können sie aber
vielleicht auch nur auf der einen Seite bekommen und auf der einen gelähmt
sein, oder aber Sie können im besten Fall geistig gelähmt werden und nur
fort vegetieren: das sind so ohngefähr Ihre Aussichten auf die nächsten
vier Wochen! Übrigens kann ich Sie versichern, dass Sie einen von den
interessanten Fällen abgeben, und wenn Gott will, dass Ihre Zunge zum Teil
gelähmt wird, so machen wir unsterbliche Experimente.
HAUPTMANN:
Herr Doktor, erschrecken Sie mich nicht! Es sind schon Leute am Schreck
gestorben, am bloßen hellen Schreck. - Ich sehe schon die Leute mit den
Zitronen in den Händen; aber sie werden sagen, er war ein guter Mensch,
ein guter Mensch - Teufel Sargnagel!
DOKTOR hält ihm den Hut
hin: Was ist das, he? - Das ist ein Hohlkopf, geehrtester Herr
Exerzierzagel!
HAUPTMANN macht eine Falte: Was ist das, Herr
Doktor? - Das ist Einfalt, bester Herr Sargnagel! Hähähä! Aber nichts für
ungut! Ich bin ein guter Mensch, aber ich kann auch, wenn ich will, Herr
Doktor, hähähä, wenn ich will ... - Woyzeck kommt und will
vorbeieilen - He, Woyzeck, was hetzt Er sich so an uns vorbei. Bleib
er doch, Woyzeck! Er läuft ja wie ein offnes Rasiermesser durch die Welt,
man schneidt sich an Ihm; Er läuft, als hätt er ein Regiment Kastrierte zu
rasieren und würde gehenkt über dem längsten Haar noch vor dem
Verschwinden. Aber, über die langen Bärte - was wollt’ ich doch sagen?
Woyzeck, die langen Bärte ...
DOKTOR: Ein langer Bart
unter dem Kinn, schon Plinius spricht davon, man müsst es den Soldaten
abgewöhnen ...
HAUPTMANN fährt fort: Ha, über die langen Bärte!
Wie is, Woyzeck, hat Er noch nicht ein Haar aus einem Bart in seiner
Schüssel gefunden? He, Er versteht mich doch? Ein Haar eines Menschen, vom
Bart eines Sapeurs, eines Unteroffiziers, eines - eines Tambourmajors? He,
Woyzeck? Aber Er hat eine brave Frau. Geht Ihm nicht wie
andern.
WOYZECK: Jawohl! Was wollen Sie sagen, Herr
Hauptmann?
HAUPTMANN: Was der Kerl ein Gesicht macht! ...
Vielleicht nun auch nicht in der Suppe, aber wenn Er sich eilt und um die
Eck geht, so kann er vielleicht noch auf ein Paar Lippen eins finden. Ein
Paar Lippen, Woyzeck. Kerl, Er ist ja kreideweiß!
WOYZECK: hh,
ich bin ein armer Teufel - und hab’s sonst nichts auf der Welt. hh, wenn
Sie Spaß machen -
HAUPTMANN: Spaß ich? dass dich Spaß,
Kerl!
DOKTOR: Den Puls, Woyzeck, den Puls! - Klein, hart,
hüpfend, unregelmäßig.
WOYZECK: hh, die Erd is höllenheiß - mir
eiskalt, eiskalt - Die Hölle is kalt, wollen wir wetten. - - Unmöglich!
Mensch! Mensch! Unmöglich!
HAUPTMANN: Kerl, will Er - will Er
ein paar Kugeln vor den Kopf haben? Er ersticht mich mit seinen Augen, und
ich mein’ es gut mit Ihm, weil Er ein guter Mensch ist, Woyzeck, ein guter
Mensch.
DOKTOR: Gesichtsmuskeln starr, gespannt, zuweilen
hüpfend. Haltung aufgeregt, gespannt.
WOYZECK: Ich geh’. Es is
viel möglich. Der Mensch! Es is viel möglich. - Wir haben schön Wetter,
hh. Sehn Sie, so ein schöner, fester, grauer Himmel; man könnte Lust
bekommen, ein’ Kloben hineinzuschlagen und sich daran zu hängen, nur wegen
des Gedankenstriches zwischen Ja und wieder Ja - und Nein. hh, Ja und
Nein? Ist das Nein am Ja oder das Ja am Nein schuld? Ich will darüber
nachdenken. - Geht mit breiten Schritten ab, erst langsamer, dann immer
schneller.
HAUPTMANN: Mir wird ganz schwindlig vor den
Menschen. Wie schnell! Der lange Schlingel greift aus, als läuft der
Schatten von einem Spinnbein, und der Kurze, das zuckelt. Der Lange ist
der Blitz und der Kleine der Donner. Haha ... Grotesk! grotesk!
Mariens Kammer
Marie. Woyzeck.
WOYZECK sieht sie starr an und schüttelt den Kopf: Hm!
Ich seh’ nichts, ich seh nichts. O man müsst’s sehen, man müsst’s greifen
könne mit Fäusten!
MARIE verschüchter: Was hast du,
Franz? - Du bist hirnwütig, Franz.
WOYZECK: Eine Sünde, so dick
und so breit - es stinkt, dass man die Engelchen zum Himmel hinausräuchern
könnt’! Du hast ein’ roten Mund, Marie. Keine Blase drauf? Wie, Marie, du
bist schön wie die Sünde - kann die Totsünde so schön
sein?
MARIE: Franz, du redest im Fieber!
WOYZECK:
Teufel! - Hat er da gestanden? So? So?
MARIE: Dieweil der Tag
lang und die Welt alt is, können viele Menschen an einem Platz stehen,
einer nach dem andern.
WOYZECK: Ich hab ihn
gesehn!
MARIE: Man kann viel sehn, wenn man zwei Auge hat und
nicht blind is und die Sonn scheint.
WOYZECK: Mensch! - Geht
auf sie los.
MARIE: Rühr mich an, Franz! Ich hätt’ lieber
ein Messer in den Leib als deine Hand auf meiner. Mein Vater hat mich nit
anzugreifen gewagt, wie ich zehn Jahre alt war, wenn ich ihn
ansah.
WOYZECK: Weib! - Nein, es müsste was an dir sein! Jeder
Mensch ist ein Abgrund; es schwindelt einem, wenn man hinabsieht. - Es
wäre! Sie geht wie die Unschuld. Nun, Unschuld, du hast ein Zeichen an
dir. Weiß ich’s? Weiß ich’s? Wer weiß es? - Er geht.
Die Wachstube.
Woyzeck. Andres.
ANDRES singt:
Frau Wirtin hat ne brave Magd,
sie
sitzt im Garten Tag und Nacht,
sie sitzt in ihrem Garten
...
WOYZECK : Andres !
ANDRES : Nu?
WOYZECK
: Schön Wetter.
ANDRES : Sonntagswetter - Musik vor der Stadt.
Vorhin - sind die Weibsbilder hinaus; die Mensche dampfe, das
geht!
WOYZECK unruhig: Tanz, Andres, sie tanze
!
ANDRES : Im Rössel und in Sternen.
WOYZECK : Tanz,
Tanz !
ANDRES: Meinetwege.
Sitzt in ihrem Garten,
bis dass
das Glöcklein zwölfe schlägt,
und passt auf die
Solda-aten.
WOYZECK : Andres, ich hab’ kei
Ruh.
ANDRES: Narr!
WOYZECK: Ich muss hinaus. Es dreht
sich mir vor den Augen. Tanz, Tanz! Wird sie heiße Händ habe! Verdammt,
Andres !
ANDRES: Was willst du?
WOYZECK: Ich muss fort,
muss sehen.
ANDRES: Du Unfried! Wegen dem
Mensch?
WOYZECK : Ich muss hinaus, ’s is so heiß
dahie.
Wirtshaus
Die Fenster offen, Tanz. Bänke vor dem Haus. Bursche.
ERSTER HANDSWERKSBURSCH:
Ich hab’ ein Hemdlein an, das ist
nicht mein;
meine Seele stinkt nach Brandewein -
ZWEITER
HANDWERKSBURSCH: Bruder, soll ich dir aus Freundschaft ein Loch in die
Natur machen? Vorwärts ! Ich will ein Loch in die Natur machen! Ich bin
auch ein Kerl, du weißt - ich will ihm alle Flöh am Leib
totschlagen.
ERSTER HANDWERKSBURSCH: Meine Seele, meine Seele
stinkt nach Brandewein! - Selbst das Geld geht in Verwesung über!
Vergissmeinnicht, wie ist diese Welt so schön! Bruder, ich muss ein
Regenfass
voll greinen vor Wehmut. Ich wollt’, unsre Nasen wären zwei Bouteillen,
und wir könnten sie uns einander in den Hals gießen.
ANDRE im
Chor:
Ein Jäger aus der Pfalz
ritt einst durch einen grünen
Wald.
Halli, hallo, ha lustig ist die Jägerei
allhier auf grüner
Heid.
Das Jagen is mei Freud.
Woyzeck stellt sich ans Fenster. Marie und der
Tambourmajor tanzen vorbei, ohne ihm zu bemerken.
WOYZECK : Er! Sie! Teufel!
MARIE im
Vorbeitanzen: Immer zu, immer zu -
WOYZECK erstickt:
Immer zu - immer zu ! - Fährt heftig auf und sinkt zurück auf die
Bank: Immer zu, immer zu! - Schlägt die Hände ineinander: Dreht
euch. wälzt euch! Warum bläst Gott nicht die Sonn aus, dass alles in
Unzucht sich übereinanderwälzt, Mann und Weib, Mensch und Vieh?! Tut’s am
hellen Tag, tut’s einem auf den Händen wie die Mücken ! - Weib! Das Weib
is heiß, heiß! - Immer zu, immer zu ! - Fährt auf: Der Kerl, wie er
an ihr herum greift, an ihrem Leib! Er, er hat sie - wie ich zu Anfang. -
Er sinkt betäubt zusammen.
ERSTER HANDWERKSBURSCH
predigt auf dem Tisch: Jedoch, wenn ein Wandrer, der gelehnt steht
an dem Strom der Zeit oder aber sich die göttliche Weisheit beantwortet
und sich anredet: Warum ist der Mensch? Warum ist der Mensch? - Aber
wahrlich, ich sage euch : Von was hätte der Landmann, der Weißbinder, der
Schuster, der Arzt leben sollen, wenn Gott den Menschen nicht geschaffen
hätte? Von was hätte der Schneider leben sollen, wenn er dem Menschen
nicht die Empfindung der Scham eingepflanzt hätte, von was der Soldat,
wenn er ihm nicht mit dem Bedürfnis sich totzuschlagen ausgerüstet hätte?
Darum zweifelt nicht - ja, ja, es ist lieblich und fein, aber alles
Irdische ist übel, selbst das Geld geht in Verwesung über. Zum Beschluss,
meine geliebten Zuhörer, lasst uns noch übers Kreuz pissen, damit ein Jud
stirbt!
Unter allgemeinem Gejohle erwacht Woyzeck und rast
davon.
Freies Feld
WOYZECK : Immer zu! Immer zu! Hisch, hasch! So gehn die Geigen
und die Pfeifen. - Immer zul Immer zu ! - Still, Musik! Was spricht da
unten? - Recht sich gegen den Boden: Ha, was, was sagt ihr? Lauterl
Lauter! Stich, stich die Zickwolfin tot? - Stich, stich die Zickwolfin
tot! - Soll ich! muss ich? Hör’ ich’s da auch? - Sagt’s der Wind auch? -
Hör’ ich’s immer, immer zu: stich tot, tot!
Ein Zimmer in der Kaserne
Nacht. Andres und Woyzeck in einem Bett.
WOYZECK Ieise: Andres!
Andres murmelt im Schlaf.
WOYZECK schüttelt Andres: He, Andres!
Andres!
ANDRES: Na was is?
WOYZECK: Ich kann nit
schlafen! Wenn ich die Aug zumach’, dreht sich’s immer, und ich hör’ die
Geigen, immer zu, immer zu. Und dann spricht’s aus der Wand. Hörst du
nix?
ANDRES: Ja - lass sie tanze! Einer is müd, und dann Gott
behüt uns, amen.
WOYZECK: Es redt lmmer : stich! stich! und
zieht mir zwischen den Augen wie ein Messer -
ANDRES : Schlaf,
Narr! - Er schläft wieder ein.
WOYZECK: Immer zu! Immer
zu!
Der Hof des Doktors
Studenten und Woyzeck unten, der Doktor am
Dachfenster.
DOKTOR: Meine Herren, ich bin auf dem Dach wie David, als er
die Bathseba sah; aber ich sehe nichts als die culs de Paris der
Mädchenpension im Garten trocknen. Meine Herren, wir sind an der wichtigen
Frage über das Verhältnis des Subjekts zum Objekt. Wenn wir nur eins von
den Dingen nehmen, worin sich die organische Selbstaffirmation des
Göttlichen, auf einem so hohen Standpunkte, manifestiert, und ihre
Verhältnisse zum Raum, zur Erde, zum Planetarischen untersuchen, meine
Herren, wenn ich diese Katze zum Fenster hinauswerfe: wie wird diese
Wesenheit sich zum centrum gravitationis gemäß ihrem eigenen Instinkt
verhalten? - He, Woyzeck - brüllt -, Woyzeck!
WOYZECK
fängt die Katze auf: Herr Doktor, sie beißt!
DOKTOR:
Kerl, Er greift die Bestie so zärtlich an, als wär’s seine Großmutter. -
Er kommt herunter.
WOYZECK : Herr Doktor, ich hab’s
Zittern.
DOKTOR ganz erfreut: Ei, ei ! Schön, Woyzeck ! -
Reibt sich die Hände. Er nimmt die Katze: Was seh’ ich, meine
Herren, die neue Spezies Hasenlaus, eine schöne Spezies . . . - Er
zieht eine Lupe heraus, die Katze läuft fort. - Meine Herren, das Tier
hat keinen wissenschaftlichen Instinkt . . . Die können dafür was anders
sehen. Sehen Sie: der Mensch, seit einem Vierteljahr isst er nichts als
Erbsen; bemerken Sie die Wirkung, fühlen Sie einmal: Was ein ungleicher
Puls! Der und die Augen!
WOYZECK : Herr Doktor, es wird mir
dunkel! - Er setzt sich.
DOKTOR: Courage, Woyzeck! Noch
ein paar Tage, und dann ist’s fertig. Fühlen Sie, meine Herren, fühlen Sie
! - Sie betasten ihm Schläfe, Puls und Busen. - Apropos, Woyzeck,
beweg den Herren doch einmal die Ohren! Ich hab’ es Ihnen schon zeigen
wollen, zwei Muskeln sind bei ihm tätig. Allons, frisch
!
WOYZECK : Ach, Herr Doktor !
DOKTOR: Bestie, soll
ich dir die Ohren bewegen? Willst du’s machen wie die Katze? So, meine
Herren! Das sind so Übergänge zum Esel, häufig auch die Folge weiblicher
Erziehung und die Muttersprache. Wieviel Haare hat dir die Mutter zum
Andenken schon ausgerissen aus Zärtlichkeit? Sie sind dir ja ganz dünn
geworden seit ein paar Tagen. Ja, die Erbsen, meine Herren!
Kasernenhof
WOYZECK : Hast nix gehört?
ANDRES : Er is da, noch mit
einem Kameraden.
WOYZECK : Er hat was gesagt.
ANDRES:
Woher weißt du’s? Was soll ich’s sagen? Nu, er lachte, und dann sagt er :
Ein köstlich Weibsbild ! Die hat Schenkel, und alles so heiß
!
WOYZECK ganz kalt: So, hat er das gesagt? Von was hat
mir doch hat nacht geträumt? War’s nicht von einem Messer? Was man doch
närrische Träume hat!
ANDRES : Wohin, Kamerad?
WOYZECK
: Meim Offizier Wein holen. - Aber, Andres, sie war dach ein einzig
Mädel.
ANDRES : Wer war?
WOYZECK : Nix. Adies ! -
Ab.
Wirtshaus
Tambourmajor. Woyzeck. Leute.
TAMBOURMAJOR : Ich bin ein Mann! - Schlägt sich auf die
Brust: Ein Mann, sag’ ich. Wer will was? Wer kein besoffner Herrgott
ist, der lass sich von mir. Ich will ihn die Nas ins Arschloch prügeln! Ich
will - Zu WOYZECK: Du Kerl, sauf! Ich wollt’ die Welt wär’
Schnaps, Schnaps - der Mann muss saufen ! - Woyzeck pfeift. - Kerl,
soll ich dir die Zung aus dem Hals ziehn und sie um den Leib herumwickeln?
- Sie ringen, Woyzeck verliert. - Soll ich dir noch so viel Atem lassen
als ’en Altweiberfurz, soll ich? - Woyzeck setzt sich erschöpft
zitternd auf eine Bank. - Der Kerl soll dunkelblau
pfeifen.
Brandewein, das ist mein Leben;
Brandwein gibt
Courage!
EINE: Der hat sein Fett.
ANDRE: Er blut’.
WOYZECK: Eins nach dem
andern.
Kramladen
Woyzeck. Der Jude.
WOYZECK : Das Pistolchen ist zu teuer.
JUDE: Nu,
kauft’s oder kauft’s nit, was is?
WOYZECK : Was kost’ das
Messer?
JUDE: ’s ist ganz grad. Wollt Ihr Euch den Hals mit
abschneiden? Nu, was is es? Ich geb’s Euch so wohlfeil wie ein andrer. Ihr
sollt Euern Tod wohlfeil haben, aber doch nit umsonst. Was is es? Er soll
ein ökonomischer Tod haben.
WOYZECK : Das kann mehr als Brot
schneiden -
JUDE: Zwee Grosche.
WOYZECK : Da! - Geht
ab.
JUDE: Da ! Als ob’s nichts wär! Und es is doch Geld. - Du
Hund!
Mariens Kammer
NARR liegt und erzählt sich Märchen an den Fingern: Der
hat die goldne Kron, der Herr König... Morgen hol’ ich der Frau Königin
ihr Kind... Blutwurst sagt : komm, Leberwurst...
MARIE
blättert in der Bibel : "Und ist kein Betrug in seinem Munde
erfunden":..Herrgott, Herrgott ! Sieh mich nicht an ! - Blättert
weiter: "Aber die Pharisäer brachten ein Weib zu ihm, im Ehebruch
begriffen, und stelleten sie ins Mittel dar ... Jesus aber sprach : So
verdamme ich dich auch nicht. Geh hin und sündige hinfort nicht mehr!" -
Schlägt die Hände zusammen: Herrgott! Herrgott! Ich kann nicht! -
Herrgott, gib mir nur so viel, dass ich beten kann. - Das Kind drängt
sich an sie. - Das Kind gibt mir einen Stich ins Herz. - Zum
Narrn: Karl ! Das brüst’ sich in der Sonne ! - Narr nimmt das Kind
und wird still. - Der Franz ist nit gekommen, gestern nit, heut nit.
Es wird heiß hier ! - Sie macht das Fenster auf und liest wieder:
"Und trat hinten zu seinen Füßen und weinete, und fing an, seine Füße zu
netzen mit Tränen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und
küssete seine Füße und salbete sie mit Salbe..." Schlägt sich auf die
Brust: Alles tot ! Heiland ! Heiland ! ich möchte dir die Füße salben
! -
Kaserne
Andres. Woyzeck kramt in seinen Sachen.
WOYZECK : Das Kamisolchen, Andres, ist nit zur Montur : du
kannst’s brauchen, Andres.
ANDRES ganz starr, sagt zu allem:
Jawohl.
WOYZECK: Das Kreuz meiner Schwester und das
Ringlein.
ANDRES : Jawohl.
WOYZECK: Ich hab’ auch noch
ein Heiligen, zwei Herze und schön Gold - es lag in meiner Mutter Bibel,
und da steht:
Herr, wie dein Leib war rot und wund,
so laß mein Herz
sein aller Stund.
Mein Mutter fühlt nur noch, wenn ihr die Sonn auf die
Händ scheint - das tut nix.
ANDRES: Jawohl.
WOYZECK
zieht ein Papier hervor: Friedrich Johann Franz Woyzeck, Wehrmann,
Füsilier im 2. Regiment, 2. Bataillion 4. Kompanie, geboren Mariä
Verkündigung, den 20. Juli. - Ich bin heut alt 30 Jahr, 7 Monat und 12
Tage.
ANDRES : Franz, du kommst ins Lazarett. Armer, du musst
Schnaps trinken und Pulver drin, das töt’ das Fieber.
WOYZECK:
Ja, Andres, wenn ein Schreiner die Hobelspäne sammelt, es weiß niemand,
wer seinen Kopf drauflegen wird.
Straße
Marie mit Mädchen vor der Haustür, Großmutter; später
Woyzeck
MÄDCHEN:
Wie scheint die Sonn am Lichtmeßtag
und steht das
Korn im Blühn.
Sie gingen wohl die Wiese hin,
sie gingen zu zwein
und zwein.
Die Pfeifer gingen voran,
die Geiger hinterdrein,
sie
hatten rote Socken an...
ERSTES KIND: Das ist nit
schön.
ZWEITES KIND: Was willst du auch immer!
ERSTES
KIND: Marie, sing du uns!
MARIE: Ich kann nit.
ERSTES
KIND: Warum?
MARIE: Darum.
ZWEITES KIND: Aber
warum darum?
DRITTES KIND: Großmutter,
erzähl!
GROSSMUTTER: Kommt, ihr kleinen Krabben! - Es war einmal
ein arm Kind und hatt’ kein Vater und keine Mutter, war alles tot, und war
niemand mehr auf der Welt. Alles tot, und es is hingangen und hat gesucht
Tag und Nacht. Und weil auf der Erde niemand mehr war, wollt’s in Himmel
gehn, und der Mond guckt es so freundlich an; und wie es endlich zum Mond
kam, war’s ein Stück faul Holz. Und da is es zur Sonn gangen, und wie es
zur Sonn kam, war’s ein verwelkt Sonneblum. Und wie’s zu den Sternen kam,
waren’s kleine goldne Mücken, die waren angesteckt, wie der Neuntöter sie
auf die Schlehen steckt. Und wie’s wieder auf die Erde wollt, war die Erde
ein umgestürzter Hafen. Und es war ganz allein. Und da hat sich’s
hingesetzt und geweint, und da sitzt es noch und is ganz allein. WOYZECK
erscheint: Marie!
MARIE erschreckt: Was
is?
WOYZECK: Marie, wir wollen gehn. ’s is
Zeit.
MARIE: Wohin?
WOYZECK: Weiß ich’s?
Waldsaum am Teich
Marie und Woyzeck.
MARIE : Also dort hinaus is die Stadt. ’s is
finster.
WOYZECK : Du sollst noch bleiben. Komm, setz
dich!
MARIE: Aber ich muss fort.
WOYZECK: Du wirst dir
die Füße nit wund laufe.
MARIE : Wie bist du nur auch
!
WOYZECK : Weißt du auch, wie lang es jetzt is,
Marie?
MARIE : Am Pfingsten zwei Jahr.
WOYZECK :
Weißt du auch, wie lang es noch sein wird?
MARIE : Ich muss
fort, das Nachtessen richten.
WOYZECK: Friert’s dich, Marie? Und
doch bist du warm. Was du heiße Lippen hast! Heiß, heißen Hurenatem ! Und
doch möcht’ ich den Himmel geben, sie noch einmal zu küssen. - Friert’s
dich? Wenn man kalt is, so friert man nicht mehr. Du wirst vom Morgentau
nicht frieren.
MARIE: Was sagst du?
WOYZECK: Nix.
Schweigen.
MARIE : Was der Mond rot aufgeht!
WOYZECK : Wie ein
blutig Eisen.
MARIE : Was hast du vor, Franz, du bist so blass.
- Er holt mit dem Messer aus. - Franz halt ein! Um des Himmels
willen, Hilfe, Hilfe!
WOYZECK sticht drauflos: Nimm das
und das ! Kannst du nicht sterben? So! So ! - Ha, sie zuckt noch; noch
nicht? Noch nicht? Immer noch. - Stoßt nochmals zu. - Bist du tot!
Tot! Tot! - Er lässt das Messer fallen und läuft weg.
Das Wirtshaus
WOYZECK : Tanzt alle, immer zu! Schwitzt und stinkt! Er holt
euch doch einmal alle ! - Singt:
Ach. Tochter, lieb
Tochter
was hast du gedenkt,
dass du dich an die Landkutscher
und
die Fuhrleut hasst gehenkt.
Er tanzt: So, Käthe, setz dich ! Ich
hab’ heiß heiß! - Er zieht den Rock aus. - Es ist einmal so, der
Teufel holt die eine und lässt die andre laufen. Käthe, du bist heiß ! War-
um denn? Käthe, du wirst auch noch kalt werden. Sei vernünftig. - Kannst
du nicht singen?
KÄTHE singt:
Ins Schwabenland, das
mag ich nicht,
und lange Kleider trag’ ich nicht,
denn lange
Kleider, spitze Schuh,
die kommen keiner Dienstmagd
zu.
WOYZECK : Nein, keine Schuh, man kann auch ohne Schuh in die
Höll gehn.
KÄTHE singt:
O pfui mein Schatz, das war
nicht fein,
behalt dein Taler und schlaf allein.
WOYZECK :
Ja, wahrhaftig, ich möchte mich nicht blutig machen.
KÄTHE: Aber
was hast du an deiner Hand?
WOYZECK : Ich? Ich?
KÄTHE:
Rot! Blut!
Es stellen sich Leute um sie.
WOYZECK : Blut? Blut?
WIRT: Uu -
Blut!
WOYZECK : Ich glaub’, ich hab’ mich geschnitten, da an der
rechten Hand. WIRT : Wie kommt’s aber an den
Ellenbogen?
WOYZECK: Ich hab’s abgewischt.
WIRT: Was,
mit der rechten Hand an den rechten Ellenbogen Ihr seid
geschickt!
NARR: Und da hat der Ries gesagt : Ich riech’, ich
riech’ Menschenfleisch. Puh, das stinkt schon!
WOYZECK : Teufel,
was wollt ihr? Was geht’s euch an? Platz, oder der erste - Teufel! Meint
ihr, ich hätt’ jemand umgebracht? Bin ich ein Mörder? Was gafft ihr? Guckt
euch selbst an ! Platz da ! - Er läuft hinaus.
Am Teich
WOYZECK allein: Das Messer? Wo ist das Messer? Ich hab’
es da gelassen. Es verrät mich ! Näher, noch näher ! Was is das für ein
Platz? Was hör’ ich? Es rührt sich was. Still. - Da in der Nähe. Marie?
Ha, Marie ! Still. Alles still ! Was bist du so bleich, Marie? Was hast du
eine rote Schnur um den Hals? Bei wem hast du das Halsband verdient mit
deinen Sünden? Du warst schwarz davon, schwarz ! Hab’ ich dich gebleicht?
Was hängen deine Haare so wild? Hast du deine Zöpfe heute nicht
geflochten?... - Das Messer, das Messer ! Hab’ ich’s? So ! - Er läuft
zum Wasser. So, da hinunter ! - Er wirft das Messer hinein. -
Es taucht in das dunkle Wasser wie ein Stein. - Nein, es liegt zu weit
vorn, wenn sie sich baden. - Er geht in den Teich und wirft weit. -
So, jetzt - aber im Sommer, wenn sie tauchen nach Muscheln? - Bah, es wird
rostig, wer kann’s erkennen. - Hätt’ ich es zerbrochen! - - Bin ich noch
blutig? Ich muss mich waschen. Da ein Fleck, und da noch einer...
Es kommen Leute.
ERSTE PERSON: Halt!
ZWEITE PERSON: Hörst du? Still !
Dort!
ERSTE: Uu! Da! Was ein Ton!
ZWEITE : Es ist das Wasser,
es ruft : Schon lang ist niemand ertrunken. Fort ! Es ist nicht gut, es zu
hören!
ERSTE: Uu ! Jetzt wieder ! - Wie ein Mensch, der
stirbt!
ZWEITE: Es ist unheimlich ! So dunstig, allenthalben
Nebelgrau - und das Summen der Käfer wie gesprungne Glocken.
Fort!
ERSTE: Nein. zu deutlich, zu laut! Da hinauf ! Komm
mit!
Waldweg am Teich
Gerichtsdiener, Arzt, Richter.
POLIZIST: Ein guter Mord, ein echter Mord, ein schöner Mord. So
schön, als man ihn nur verlangen tun kann. Wir haben schon lange so keinen
gehabt.